Mathematisch/physikalisch begabte Motorradfahrer?

Diskutiere Mathematisch/physikalisch begabte Motorradfahrer? im Motorrad allgemein Forum im Bereich Community; Hast Du ein Fahrrad-Vorderrad griffbereit? Wie erklärst Du dann die Kreiselkräfte bei bei meinem oben genannten Beitrag #55?
beiker

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Hast Du ein Fahrrad-Vorderrad griffbereit? Wie erklärst Du dann die Kreiselkräfte bei bei meinem oben genannten Beitrag #55?
 
Serpel

Serpel

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Durch den zusätzlichen Freiheitsgrad.

Lass das Rad in der Gabel drin, spann den Rahmen fest in einen Schraubstock, versetze das Rad in heftigste Rotation und drehe am Lenker. Der geht butterweich, ohne jede Kraftanstrengung. Nix mit Kreiselkraft.

Gruß
Serpel
 
beiker

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Dankeschön:) Man lernt nie aus...
Gyroskopischer Effekt
Unter
"Gyroskopischer Effekt bei Zweirädern"

steht:

Zitat
Entgegen der gängigen Meinung ist der gyroskopische Effekt nicht ausschlaggebend dafür verantwortlich, dass sich ein (vorwärts) freilaufendes Fahrrad üblicher Lenkgeometrie selbständig ausbalanciert. Verantwortlich ist hierfür vielmehr der Umstand, dass bei einem seitlichen Kippen des Fahrrads das Vorderrad automatisch einlenkt und so der Auflagepunkt der Reifen auf der Straße wieder unter dem Massenschwerpunkt zu liegen kommt. Der gyroskopische Effekt hat hier lediglich eine stabilisierende Wirkung.
 
Serpel

Serpel

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Das ist genau das, was ich meine, danke!

Gruß
Serpel
 
E

Eiskrem

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Was haben die Kreiselkräfte mit der Eingangsfrage
Welche Kurve ist das nun beim Reinbremsen und Rausbeschleunigen?
zu tun? Oder ist das ein unabhängig davon diskutiertes Thema?
 
beiker

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Was haben die Kreiselkräfte mit der Eingangsfrage zu tun? Oder ist das inzwischen ein völlig unabhängig davon diskutiertes Themas?
Um die Gesamtheit (annähernd) verstehen zu können bedarf es wohl auch Neben-Diskussionen;)

Oder hast Du schon die Antwort?
 
B

borromeus

Gast
Serpel, hier gehst Du leider irr.
Trotz Deiner wunderbaren Beiträge hier. Danke an dieser Stelle!!

Aber kipp mal ein 90° gedrehtes rotierendes Rad nach oben.
DAS ist der Grund warum das Vorderrad in Schräglage schwerer abhebt.

Das hat mit dem verlinkten gyroskopischen Wiki-Link überhaupt nichts zu tun, sondern mit träger Masse.
 
Serpel

Serpel

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Auf den letzten Seiten sind wir ein wenig abgedriftet, deswegen kann es schon sein, dass einige Missverständnisse entstanden sind. Wir haben drei Themen diskutiert, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben:

1. Optimale Bahnkurve

2. Beschleunigung in Schräglage

3. Ausbalancieren eines Zweirads

Das dritte Thema ist geklärt, denke ich. Jedenfalls das Prinzip, wodurch ein Zweirad in Fahrt ausbalanciert wird.

Auch das erste ist auf einer ersten, naiven Stufe recht gut erklärt, und man kann mit diesen Parabelbahnen sogar in der Praxis etwas anfangen, wie ich auf Pässe schon oftmals bemerkt habe, weil ausprobiert. Damit ist man einfach schneller als andere, die schöne Kreisbogen fahren, obwohl mit meistens weniger Schräglage unterwegs. Außerdem können die Parabelbahnen nicht mehr signifikant verbessert werden, da die oben genannte Rundenzeit von 13.2 s gegenüber der theoretischen Minimalzeit von 12.8 s kaum noch Spielraum bietet. Hier sind wir bereits an einem Punkt angelangt, wo der Berechnungsaufwand für minimale Verbesserungen exorbitant ansteigt. Ich kann das versuchen, aber lohnen wird es sich kaum mehr.

Das zweite Thema bietet aber noch Potential - da können wir nun ja weiter machen.

Gruß
Serpel

- - - Aktualisiert - - -

Serpel, hier gehst Du leider irr.
Trotz Deiner wunderbaren Beiträge hier. Danke an dieser Stelle!!

Aber kipp mal ein 90° gedrehtes rotierendes Rad nach oben.
DAS ist der Grund warum das Vorderrad in Schräglage schwerer abhebt.

Das hat mit dem verlinkten gyroskopischen Wiki-Link überhaupt nichts zu tun, sondern mit träger Masse.
Erst mal danke für die Einschätzung meiner Beiträge!

Leider verstehe ich deinen Einwand nicht wirklich. Deswegen gehe ich erst mal ganz allgemein darauf ein, auch weil es generell hilft, einen Konsens zu finden.

Das allgemeine Prinzip beim Kreisel wird dadurch ganz gut beschrieben, dass er stets in senkrechter Richtung ausweicht zu der Richtung, in der das externe Moment eingeleitet wird. Das ist letztlich der Grund dafür, warum der Lenker eines Zweirads mit fest eingespanntem Rahmen unabhängig vor der Rotationsgeschwindigkeit des Rades bewegt werden kann. Die auftretenden Kreiselkräfte wirken stets senkrecht zur Drehbewegung und werden vom Rahmen und der Einspannvorrichtung absorbiert.

Dem steht nun natürlich die Erfahrung gegenüber, denn wir alle wissen, dass das Lenken beim Motorrad mit zunehmender Geschwindigkeit immer stärkere Lenkimpulse erfordert. Der Grund dafür liegt in der fehlenden Einspannung des Rahmens während der Fahrt. Durch den Lenkimpuls zur falschen Seite (der im ersten Moment tatsächlich sehr leicht von der Hand geht), kippt das Motorrad unmittelbar zur (richtigen) Seite. Das aus zwei Gründen: erstens wegen der Trägheit der Masse in Verbindung mit der Verlagerung des Schwerpunktes und zweitens durch das Ausweichmoment des (Vorderrad-)Kreisels. Durch das Kippen wiederum - und jetzt kommt’s - entsteht ein weiteres Ausweichmoment, das den Lenker nach innen zu drehen versucht (und dies tatsächlich auch ein Stück weit tut). Entsprechender Druck auf das kurveninnere Lenkerende verzögert diese Bewegung, damit das Motorrad weiter in die Kurve kippen kann und der Einlenkvorgang nicht vorzeitig abgebrochen wird. Erst, wenn man den Druck reduziert, schwenkt der Lenker so weit nach innen, wie für stabile Kurvenfahrt nötig ist. Aber eben - durch den einleitenden Lenkimpuls entsteht in letzter Konsequenz eine Kraft gegen die drückende Fahrerhand, die umso größer ist, je schneller man fährt (und je größer der Lenkimpuls war).

Auslenken ist physikalisch gesehen dann genau der gleiche Vorgang zur anderen Seite hin, bedarf also keiner weiteren Betrachtung. Auslenken einer Linkskurve beispielsweise ist das gleiche wie Einlenken einer Rechtskurve und umgekehrt.

Zum Schluss nochmals: Kreiselkräfte wirken niemals dem eingeleiteten Moment direkt entgegen, sondern weichen immer 90° dazu aus (auch zur Drehachse). Das bedeutet, dass Kreiselkräfte immer dann wirkungslos sind, wenn die Ausweichrichtung durch Zwangskräfte (meistens durch mechanische Vorrichtungen) unterbunden wird.

Gruß
Serpel
 
F

frankie_2010

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Vielen Dank Serpel und allen anderen für das schöne Thema! Macht mir echt Spaß zu lesen und die grauen Zellen anzustrengen. :-)


Auf den letzten Seiten sind wir ein wenig abgedriftet, deswegen kann es schon sein, dass einige Missverständnisse entstanden sind. Wir haben drei Themen diskutiert, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben:
1. Optimale Bahnkurve
2. Beschleunigung in Schräglage
3. Ausbalancieren eines Zweirads
Das mit der Bahkurve ist schon klasse gewesen. Die Parabel habe ich aber noch nicht verdaut.
Jetzt hast Du aber noch ein weiteres Thema unten eröffnet, in der Diskussion der Grundlagen für 2., nämlich
4. Einlenken bei nicht langsamen Geschwindigkeiten


Dem steht nun natürlich die Erfahrung gegenüber, denn wir alle wissen, dass das Lenken beim Motorrad mit zunehmender Geschwindigkeit immer stärkere Lenkimpulse erfordert.
...
Durch das Kippen wiederum - und jetzt kommt’s - entsteht ein weiteres Ausweichmoment, das den Lenker nach innen zu drehen versucht (und dies tatsächlich auch ein Stück weit tut). Entsprechender Druck auf das kurveninnere Lenkerende verzögert diese Bewegung, damit das Motorrad weiter in die Kurve kippen kann und der Einlenkvorgang nicht vorzeitig abgebrochen wird. Erst, wenn man den Druck reduziert, schwenkt der Lenker so weit nach innen, wie für stabile Kurvenfahrt nötig ist. Aber eben - durch den einleitenden Lenkimpuls entsteht in letzter Konsequenz eine Kraft gegen die drückende Fahrerhand, die umso größer ist, je schneller man fährt (und je größer der Lenkimpuls war).

Die Beschreibung kann ich fast nachvollziehen, ich stoße mich aber ein wenig an den Bezeichnungen. Deshalb ein paar Kommentare zur Klärung.
Einen Lenkimpuls braucht es m.E. "nur" für das Einleiten einer schnellen und starken Richtungsänderung (schnelles Ausweichen).
Bei eine normalen Kurvenfahrt wird die Kurve durch einen langsamen Druck nach vorne am kurveninneren Lenkerende eingeleitet und gehalten. Kein Impuls, sondern die Schräglage wird durch wachsenden Druck erhöht. Eine stabile Kurvenfahrt (konstanter Radius und konstante Schräglage) bedeutet, dass der Druck nicht weiter gesteigert wird, sondern konstant bleibt. Eine Verringerung des Drucks führt zum Aufrichten und zum größeren Kurvenradius.


Auslenken ist physikalisch gesehen dann genau der gleiche Vorgang zur anderen Seite hin, bedarf also keiner weiteren Betrachtung. Auslenken einer Linkskurve beispielsweise ist das gleiche wie Einlenken einer Rechtskurve und umgekehrt.
Das finde ich nicht! Auslenken funktioniert über das Verringern des Drucks. Den Druck auf der einen Seite des Lenkers kann ich natürlich verringern, in dem ich auf der anderen Seite drücke, aber ich finde, das an dieser Stelle irreführend.
Allerdings liegt es wahrscheinlich auch daran, dass ich mit Deiner Erklärung hadere, weil ich weniger flott Kurven fahre! :-D


Zum Schluss nochmals: Kreiselkräfte wirken niemals dem eingeleiteten Moment direkt entgegen, sondern weichen immer 90° dazu aus (auch zur Drehachse). Das bedeutet, dass Kreiselkräfte immer dann wirkungslos sind, wenn die Ausweichrichtung durch Zwangskräfte (meistens durch mechanische Vorrichtungen) unterbunden wird.
Gruß
Serpel

Ja, volle Zustimmung. Ich denke auch eine Zwangsbedingung wird bei der Diskussion der Kurvenfahrt leicht übersehen. Das Rad schwebt ja nicht im Raum, wie man es bei anderen Kreiselbetrachtungen annimmt oder auch mit einem sich drehenden Rad, das von Hand gehalten wird, simuliert. Das Rad des Motorrades hat ja Kontakt zum Boden. D.h. der Drehpunkt ist nicht in der Radmitte, sondern an der Radunterseite. Ich denke, dass ist dann auch der Grund, warum wir dann wirklich die Kurve fahren.


Gute Kurvenfahrten
Frank


PS: Die Drehmomente lassen sich auch ganz gut mit der Drei-Finger-Regel nachvollziehen:
Faust machen, Daumen raus --> das ist der Drehimpuls, d.h. die Drehachse (Drehrichtung wie eine Schraube, die man reindreht). Daumen zeigt nach links, Rad dreht sich, als ob es in Blickrichtung rollt.
Zeigefinger ausstrecken --> das ist das Drehmoment, das auf die Drehbewegung wirkt (die versuchte Drehung wiederum wie eine Schraube). Zeigefinger nach oben, wir tun so als ob wir am Lenker rechts drücken.
Mittelfinger senkrecht zu Daumen und Zeigefinger ausstrecken --> Das ist das resultierende Drehmoment (Schraube). Mittelfinger zeigt nach vorne, d.h. das Rad kippt im Uhrzeigersinn.
Hurra, der Druck am rechten Lenkerende führt zum Kippen nach rechts!


Jetzt machen wir das ganze nochmal mit dem Kippen nach rechts als wirkendes Drehmoment:
Daumen nach links (hat sich nicht geändert), Zeigefinger nach vorne (Rad kippt ja nach rechts), dann zeigt der Mittelfinger nach unten: Voila, es ist eine Drehung nach rechts!!!


PPS: Die Drei-Finger-Regel funktioniert auch bei Linkskurven, aber wer zeigt sich schon gerne selbst den F...finger? :-P
 
beiker

beiker

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Lenkimpuls brauchst Du für jede Kurve;)

Gruß
Berthold
EDIT:
Sorry, außer für die, die ungewollt durch Körperverlagerung (Schwerpunktverlagerung) entstehen....leider für gewollte Kurvenfahrt eigentlich unbrauchbar;)

Das Auffrichten des Motorrads geht von selbst... weil es den Nachlauf gibt;)
 
FrankS

FrankS

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...Einen Lenkimpuls braucht es m.E. "nur" für das Einleiten einer schnellen und starken Richtungsänderung (schnelles Ausweichen).
Bei eine normalen Kurvenfahrt wird die Kurve durch einen langsamen Druck nach vorne am kurveninneren Lenkerende eingeleitet und gehalten. Kein Impuls, sondern die Schräglage wird durch wachsenden Druck erhöht. ..
physikalisch macht das keinen Unterschied, ein Impuls ist beides - auch wenn umgangssprachlich der 'langsame Druck' eher nicht als Impuls bezeichnet wird

Gruß

frank
 
E

Eiskrem

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PS: Die Drehmomente lassen sich auch ganz gut mit der Drei-Finger-Regel nachvollziehen:
Faust machen, Daumen raus --> das ist der Drehimpuls, d.h. die Drehachse (Drehrichtung wie eine Schraube, die man reindreht). Daumen zeigt nach links, Rad dreht sich, als ob es in Blickrichtung rollt.
Zeigefinger ausstrecken --> das ist das Drehmoment, das auf die Drehbewegung wirkt (die versuchte Drehung wiederum wie eine Schraube). Zeigefinger nach oben, wir tun so als ob wir am Lenker rechts drücken.
Mittelfinger senkrecht zu Daumen und Zeigefinger ausstrecken --> Das ist das resultierende Drehmoment (Schraube). Mittelfinger zeigt nach vorne, d.h. das Rad kippt im Uhrzeigersinn.
Hurra, der Druck am rechten Lenkerende führt zum Kippen nach rechts!


Jetzt machen wir das ganze nochmal mit dem Kippen nach rechts als wirkendes Drehmoment:
Daumen nach links (hat sich nicht geändert), Zeigefinger nach vorne (Rad kippt ja nach rechts), dann zeigt der Mittelfinger nach unten: Voila, es ist eine Drehung nach rechts!!!
Bis gestern hatte ich nur den Knoten im Kopf, nun hab ich ihn auch noch in den Fingern.... :rolleyes:
 
Serpel

Serpel

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Das mit dem Druck gegen das kurveninnere Lenkerende bei gleichmäßiger Kurvenfahrt ist übrigens nicht im Sinne des Erfinders. Ich kenne das nur von dachförmig abgenutzten Vorderreifen, verstärkt noch durch zu wenig Luft drin. Bei neuwertigen Reifen mit dem richtigen Druck fährt ne BMW (und vermutlich die meisten modernen Motorräder) in Schräglage ebenso so neutral wie geradeaus. Permanenter Gegendruck in Schräglage verleidet mir das Fahren und hat nicht erst einmal zum vorzeitigen Wechsel des vorderen Reifens geführt. Motorradfahren ist Hobby und soll Spaß machen - lieber investiere ich da ein wenig mehr und hab dann wieder ein Motorrad, das lupenrein um die Kurven fährt.

Gruß
Serpel
 
beiker

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@serpel
so schön wie Du mich auch mit dem verspannten Vorderrad aufgklärt hast....
Bei Beitrag #74 wird es Dir schwerfallen mich davon zu überzeugen;)

Lenkimpuls zum einlenken in eine Kurve ...ist ja klar
Kurvenfahrt wird aber erst durch den Druck am kurveninneren Lenkerende und/oder Zug am kurvenäußeren Lenkerende möglich.
Der Nachlauf sorgt sonst für das Aufrichten des Motarrds und es geht gerade weiter;)

Gruß
Berthold
 
Serpel

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Moin Berthold

Schon oft hab ich mich gewundert und geärgert über diesen Effekt, der das Fahren mit abgenudelten Reifen zum permanenten Ärgernis macht. Wo frische Pneu neutral und kräftefrei um Kurven laufen, muss ein an den Flanken abgeflachter Vorderpneu mit permanentem Gegendruck am kurveninneren Lenkerende in Schräglage gehalten werden.


Warum ist das so? Muss das so? Liegt da ein Fehler bei der Reifenkonstruktion vor oder hat es gar mit der Fahrwerksgeometrie des Motorrads zu tun? Lange beschäftigt mich diese Frage nun schon, aber irgendwie hatte ich nie die Geduld, mich mal ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Sonst wäre ich auf des Rätsels Lösung zwangsläufig schon viel früher gekommen, weil sie ebenso einleuchtend ist wie sie auch auf der Hand liegt. Nur braucht es eben manchmal gewisse Schlüsselerlebnisse dazu, und ein solches hatte ich neulich.

Wollte an der Tanke Luft kontrollieren. Aber statt dass Luft rein ging, ging sie raus. Im Vertrauen auf die Funktionstüchtigkeit des Geräts nochmals angesetzt, und "pfffff..."! Das kann doch nicht sein! Und nochmals: "Pfffff..."! Am Ende war nur noch etwas über ein Bar im Vorderreifen, und ich musste noch zehn Kilometer bis zur nächsten Tanke fahren. Dabei hatte ich aber Gelegenheit, das Fahrverhalten bei stark vergrößerter Auflagefläche des Reifens zu studieren.

Und wie fuhr sich das Ding? Genau: In Kurven kaum haltbar, weil sich der Lenker mit aller Macht in die Kurve eindrehen wollte. Da musste mit viel Kraft gegengehalten werden. Und mit einem Schlag war mir klar - das ist die Lösung des Problems! Klar, warum bin ich da nicht viel früher drauf gekommen?! Der Erklärung mit der "Walkarbeit" des Reifens und der damit verbundenen Kraft, die in Schräglage "außermittig" angreift und somit ein Drehmoment um die Lenkachse erzeugt, hatte ich immer schon misstraut.

Betrachten wir mal den Reifenlatsch. Dieser ist ovalförmig und besitzt einen kurveninneren (A) und kurvenäußeren Punkt (B). Bedingt durch den deutlich kleineren Abstand des Punktes A von der (verlängert gedachten) Radachse in Schräglage legt dieser pro Radumdrehung einen viel kleineren Weg zurück als der Punkt B. (Annähernd) gleitreibungsfrei kann das aber nur realisiert werden, wenn sich das Rad während der Fahrt kurveneinwärts dreht. Jetzt kann man sagen, "das muss es doch auch!", aber der Effekt ist bei seitlich abgeflachtem Reifen (oder wenig Luftdruck) um ein Vielfaches größer als zum Ausgleich der unterschiedlichen Kurvenradien von A und B eigentlich nötig wäre.

In welchem Verhältnis die beiden Effekte zueinander stehen, kann man sich klar machen, wenn man sich einen Kegel vorstellt, der über die Tischplatte rollt. Die Radachse ist die Kegelachse, die Reifenaufstandsfläche Tangentialebene an die Mantelfläche des Kegels. Bei dieser Bewegung bleibt die Kegelspitze in Ruhe; sie ist also der Punkt, um den sich der Reifen in die Kurve eigentlich eindrehen möchte, wenn er nicht durch eine entsprechende Gegenkraft am Lenker daran gehindert würde.

Auf Grund der überschaubaren geometrischen Verhältnisse beim Kegel kann dieser Punkt ganz einfach bestimmt werden. Am einfachsten geht ’s bei 30° Schräglage, dann befindet er sich gerade mal einen Raddurchmesser neben der Reifenaufstandsfläche. Wir sprechen hier von etwa 60 Zentimetern - im Gegensatz zu vielleicht 100 Metern Kurvenradius!

Damit nun das hierdurch vom Reifen in den Lenker eingeleitete Drehmoment möglichst gering ausfällt, muss der Hebelarm möglichst klein sein. Und der Hebelarm ist nicht etwa die Entfernung des Reifenaufstandspunktes (den es als solchen gar nicht gibt) von der Lenkachse, sondern die Distanz der beiden Punkte A und B, die Breite des Reifenlatsches also.

Was lernt man nun daraus?

Für ein einigermaßen fahrbares Motorrad braucht es einen Vorderreifen mit "rundem" oder "balligem" Querschnitt, der einen möglichst schmalen Latsch garantiert. Flache, schräg angewinkelte Flanken im bewährten V-förmigen Profil der Hinterreifen von Sportmotorrädern sind für den Vorderreifen absolut tabu! Um herabgesetzte Haftung des Reifens muss man sich dabei nicht in erster Linie Gedanken machen, denn schließlich steigt der Anpressdruck im gleichen Maße wie die Reifenaufstandsfläche abnimmt.

Und das Wichtigste hätte ich beinahe vergessen: Mit zunehmender Laufleistung sollte der Luftdruck im Reifen langsam erhöht werden, damit die Handlichkeit in Schräglage nicht zu viel von ihren ursprünglichen Qualitäten einbüßt.

Vergiss das mit dem Nachlauf.

Gruß
Serpel
 
F

Fossi67

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Kurvenfahrt wird aber erst durch den Druck am kurveninneren Lenkerende und/oder Zug am kurvenäußeren Lenkerende möglich.
Solange keine weiteren Kräfte(Bremsen, Beschleunigen) im Spiel sind, fährt ein Motorrad eine konstante Kreisbahn ohne weitere Einflüsse am Lenker.

(Die meisten von uns sind bestimmt schonmal irgendwann freihändig mit dem Fahrrad um eine Kurve gefahren.)
 
Larsi

Larsi

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Honda NT1100 DCT, Harley Davidson Street Glide Police, R1150GS (RoGSter), R1200S,
die geschichte mit dem nachlauf (und der spreizung) in bezug auf geradeausrichtung ist eher beim auto relevant ...
 
Serpel

Serpel

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Danke!

Es spiet beides eine Rolle und noch vieles mehr. Aber nicht alles in jedem Zusammenhang - die Schwierigkeit ist, die für ein gewisses fahrphysikalisches Phänomen verantwortlichen wesentlichen Faktoren und Ursachen herauszukristallisieren und damit eine sinnvolle Argumentation aufzubauen. Wenn ich oben geschrieben habe, "vergiss den Nachlauf", dann nur in dem Zusammenhang, in dem das gerade steht.

Der MOTORRAD-Artikel ist wie gewohnt von hoher Qualität, berücksichtigt aber die Kreiselkräfte nicht. Dies natürlich deswegen, weil es darin primär um Nachlauf und Lenkkopfwinkel geht und nicht um Handlichkeit. Für die unmittelbaren Auswirkungen der Lenkgeometrie braucht es den Kreisel eben nicht. Für die mittelbaren hingegen sehr wohl, aber das würde den Rahmen des Artikels sprengen. In einem entsprechenden Artikel über 'Handlichkeit' hingegen könnten/dürften die Kreiselkräfte nicht mehr außer acht gelassen werden, weil diese in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielen.

Was erst mal bleibt, ist die Beobachtung, dass ein vernünftiges Motorrad auf neuwertigen Qualitätsreifen neutrale und stabile Kurvenbahnen zieht, nahezu frei von Lenkkräften. Das ist Fakt, und darüber diskutiere ich nicht. :)

Gruß
Serpel
 
Thema:

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