Nahmdt !
Da wollte einer den Anfänger sehen, der mit Bernt Spiegel etwas anfangen kann - hier ist er: nämlich der Kroni.
Ich bin sowieso ein Vielleser, und wenn ich etwas neues vorhabe, dann lese ich erst mal ein Buch darüber. Also hab ich mich auch nach Motorradbüchern umgeschaut, als ich 2005 beschloßen hatte, A-Schein zu machen, und hab mir u.a. die Spiegel-Fibel zugelegt, und vor meinem Führerscheinkurs bereits 3x gelesen. Mein Fahrlehrer war ziemlich perplex, als ich ihm von meinen Experimenten mit dem paradoxen Lenkimpuls auf einer Überlandfahrt erzählte.
Das war das erste, was ich von Bernt Spiegel lernte: wie man sinnvollerweise um die Kurve fährt, und innerhalb der Kurve von aussen nach innen und von innen nach aussen kommen kann, ohne auf die Fresse zu fliegen. Und seither lerne ich Motorradfahren mit dem Buch von Spiegel.
Anfangs habe ich mir sogar die von ihm empfohlenen "memo labels" auf die Prallplatte meiner K 75 geklebt: der "gestützte Vorsatz" zur Verbesserung einzelner Handlungsabläufen. Das verursachte bei anderen Fahrern einiges Gelächter, aber hat mich vor allem am Anfang stark gehilft. Von Anfang an nutze ich auch den "Fehlerzähler". Bei jedem Fahrfehler drücke ich auf die Oberseite des "choke" - bei der K 1100; bei der GS habe ich noch keinen festen Fehlerzähler, wahrscheinlich wird es aber auch der choke-Hebel, den man ja nach unten antippen kann. Der Fehlerzähler wird immer dann gedrückt, wenn man sich die Frage: "Möchtest Du genauso noch einmal fahren?" mit Nein beantwortet. Das ist mitunter recht häufig der Fall, und schärft die Selbstbeobachtung ganz immens.
Fast alle Praxistipps von Spiegel habe ich nacheinander ausprobiert und für gut befunden - immer schön in Gruppen, und je nachdem, wo ich "Optimierungsdruck" verspürte. Das mache ich bis heute. Allerdings brauche ich heute keine Klebezettel mehr. Das Fahren mit "Lernintention" ist zur Gewohnheit geworden, es geht inzwischen auch ohne diese Dinger.
Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Ich bin von Saison zu Saison besser geworden, und kann inzwischen auch mit relativ flotten Fahrern relativ gut mithalten (wenngleich es mich noch sehr anstrengt). 2008 habe ich mich intensiv um das Erlernen der hanging-off-Fahrweise in allerdings recht zurückhaltender Weise (Oberkörper und Innenknie gehn nach innen, Aussenfuß drückt, der Arsch bleibt da, wo er auch in der Geraden ist). Da bin ich ganz zufrieden. Noch nicht zufrieden bin ich mit der Blickführung - das ist ein sehr schwieriges Kapitel. Da findet man bei Spiegel übrigens nur dezente Hinweise, viel intensiver wird hierauf bei Keith Code: Der richtige Dreh eingegangen, vor allem im 2. Band. Da erfährt man beispielsweise, daß man den Blick "teilen" kann, also gleichzeitig 2 Punkte fokussieren kann: einen optisch, und einen bewußtseinsmässig. Mit richtiger Blickführung kann man regelrecht um vordergründig "blinde" Kurven zumindest sehr häufig "herumsehen".
Ein ebenfalls sehr wichtiges Kapitel von Spiegel ist für mich die "Gefahrenantizipation", die mir auch schon einige unangenehme Begegnungen der Dritten Art erspart hat. Ich fahre beispielsweise in eine blinde - oder blindgebliebene - Kurve grundsätzlich mit dem Bewußtsein hinein, daß mir gleich einer "voll auf meiner Spur" entgegenkommt. Das "Ausweichprogramm" ist dann sozusagen schon hochgefahren. In 998 von 1000 Fällen kommt keiner. In 2 von 1000 Fällen weicht man dann verblüffend locker aus, und erschrickt allenfalls dann ein bischen, wenn man schon längst wieder aus der Kurve draussen ist. Das hängt alles auch sehr mit dem "Lesen von Strasse und Landschaft" zusammen, das ich für mich selbst "scannen" nenne. Ich fahre häufiger "Hausstrecken" recht gemächlich ab, und bemühe mich, zu registrieren, wie sich der Strassenverlauf und Gefahrenpunkte mitunter schon weit voraus feststellen lassen, z.B. Einmündungen, Einfahrten, Wald- und Feldwege, Parkplätze usw.
Der theoretische Teil von Spiegels Buch hilft mir dabei, die Vorgänge, um die es geht, genauer zu verstehen, zu beobachten und damit auch: zu beeinflussen. Diese Analyse eigenen (Fehl-)Verhaltens findet größtenteils nicht während laufender Fahrt statt, sondern in Pausen, nach der Tour, gelegentlich auch in Gesprächen - manchmal auch durch "öffentliches" Nachdenken in Foren, v.a. meinem geliebten flyingbrick-Forum.
Man merkt es schon: man muß ein Kopfmensch sein, um auf diese Weise, die nicht unbedingt der normale Weg zum Motorradfahren ist, motorradfahren zu lernen bzw. an sich selbst zu arbeiten. Es gehört auch, das sei nicht verholen, ein beträchtliches Maß an Vorbildung dazu, den theoretischen Teil von Spiegels Buch zu verstehen oder gar geniessen zu können. Wer es nicht gewohnt ist, sich mit abstrakten Themata zu befassen, und nach jeder Umblättern einer Seite Probleme hat, sich an den Inhalt der vorigen Seite, des vorigen Abschnittes zu erinnern, wird sich mit diesem Buch sehr schwer tun.
Es wird ein beträchtliches Maß an (Fahr-)Physik und an (Neuro-)Psychologie serviert - das muß man abkönnen, um es mal salopp zu formulieren, und auch einordnen können.
Ebenso ist das Buch für jemand ohne "Lernintention" nur von eingeschränktem Nutzen. Spiegels Buch setzt das Bewußtsein voraus, noch lange kein perfekter Fahrer zu sein, und noch viel lernen zu müssen. Dieses Bewußtsein jedoch ist jedenfalls nicht so weit verbreitet, wie zumindest ich es mir wünschen würde. Ich habe eher die Beobachtung gemacht, daß die Mehrheit der Motorradfahrer der Überzeugung ist, "es zu können" und keinerlei Verbesserung oder Optimierung (mehr) nötig zu haben. Dieses starke Selbstbewußtsein stimmt jedoch - und das ist auch eine sehr unliebsame Beobachtung von mir - mit der Realität auf der Strasse nicht unbedingt immer überein.
Mich selbst hat dieses Buch - und das von Keith Code, das ich als Ergänzung zu Spiegel nur wärmstens empfehlen kann - an das etwas flottere Motorradfahren in hervorragender Weise herangeführt. Wer sich auf so ein "Experiment" einzulassen willens ist, "nach dem Buch" zu fahren, der kann das eine oder andere blaue Wunder erleben. Es dauert garnicht so lange, da hat man möglicherweise "gefühlte" 20-30 PS mehr unterm Arsch. Man begreift auch irgendwann ganz konkret, daß jemand, der schneller, mitunter deutlich schneller fährt, als man selbst, nicht notwendigerweise ein hirnloser Raser ist, sondern möglicherweise einer (oder eine), die es einfach nur besser kann - mitunter sehr viel besser kann.
Besser zu werden auf dem Motorrad, mitunter auch sehr viel besser zu werden, gibt es die verschiedensten Wege. Das Buch von Spiegel ist einer dieser Wege. Er steht nicht unbedingt jederman offen, aber er kann gewaltig weit führen, weiter als man zunächst denkt, wenn man das Buch zum ersten Male liest und beginnt, es in die Praxis umzusetzen. Auch das ursprüngliche Werk mit seiner "Theorielastigkeit" ist ein Praxisbuch: es will "erfahren" werden. Wer mit Bernt Spiegel an sich selbst arbeitet, wird feststellen, daß er niemals zweimal dasselbe Buch liest, wenn er sich die "Spiegel-Fibel" erneut vornimmt, und auch in den Kapiteln aus dem theoretischen "Urschleim" immer wieder neue Aspekte erkennt, die man bei früheren Lektüren - und mit niedrigerem fahrersischen Niveau - noch garnicht erkannte, nicht erkennen konnte. Es lohnt sich also immer wieder, das Buch einmal vorzunehmen.
Einen Nachteil könnte das Buch jedoch haben, das möchte ich abschließend nicht verhehlen: die Sicht auf das Motorradfahren und die eigene Art zu fahren, können sich so stark verändern, daß man zum mitunter radikalen Individualisten wird. Während ich zu Beginn meiner Motorradkarriere nach gemeinsamen Ausfahrten und Anschluß an eine Clique geradezu gierte, gehe ich dem heutezutage fast regelmässig aus dem Weg, fahre am liebsten alleine oder mit meinem regelmässigen Tages-Tourenpartner Hans-Ulrich (FJR 1300). Unbekannten Gruppen schließe ich mich nur noch widerstrebend an - ich fahre zwar gerne zu Treffen, aber an den dort organisierten Touren nehme ich normalerweise nicht mehr teil.
Gruß
Kroni