sampleman
Sehe ich nicht so. Wenn hier einer wegen eines Tickets, gern auch aus dem Ausland, nachfragt, folgen in der Regel doch recht pragmatische Lösungsansätze, die von der Erkenntnis getragen sind, dass es sich nicht lohnt, wegen ein paar Talern einen Riesen-Aufriss zu machen, ein Fahrtenbuch zu riskieren oder die nächsten zehn Jahre das Land zu meiden. Zudem gilt es unter Motorradfahrern als gesellschaftlich akzeptiert, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten. In der Regel wird auch gar nicht abgestritten, dass man ein (Verkehrs-) Gesetz gebrochen hat. Das Höchste aller Gefühle ist doch die Klage, dass ein Tempolimit von 70 km/h auf einer freien, autobahnähnlich ausgebauten Landstraße eine Schikane sei.Es ist doch interessant, daß hier plötzlich pro "Unschuldsvermutung" argumentiert wir.
Gerade hier, wo jeder, der Rat sucht, was er gegen einer seiner Ansicht nach ungerechtfertigten (oder völlig überteuerten) Bußgeldbescheid unternehmen könnte, von den gleichen "Gutmenschen" angegangen wird, "wie ein Mann" zu seiner Tat zu stehen, egal wie dünn die Beweislage auch immer ist.
Der Fall Edathy ist komplett anders. Nach allem, was ich weiß, verhält es sich mit Edathy so: Die Staatsanwaltschaft hat einen Tipp bekommen, dass E. Bildmaterial von einem kanadischen Versender bezogen hat, der auch nach deutschem Recht illegale Bilder anbietet. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft Edathys Haus durchsucht, und zwar so auffällig, dass es am nächsten Tag die ganze Welt wusste. Sie haben über 50 Leute in die Ermittlungsergebnisse eingeweiht und anschließend eine Pressekonferenz gegeben - wohl gemerkt, bevor überhaupt feststand, ob Edathy überhaupt etwas Illegales getan hat.
Danach stand für die Öffentlichkeit fest: Edathy ist ein P*dophiler und er hat Kinderp*rnos gekauft. Das Problem dabei: P*dophil zu sein ist nicht verboten, genauso wenig wie h*mosexuell. Verboten ist es, seine P.-Neigungen auszuleben, wenn dabei Kinder missbraucht werden. Das bedeutet: Wenn sich ein P. auf die Bilder von Jungs in Unterwäsche aus dem Ottokatalog einen runterholt, dann ist das legal, und es wird auch kein Kind dabei geschädigt. Allerdings weiß so ziemlich jeder P., dass die Leute auf der Straße das weder verstehen noch gutheißen, deshalb wird jeder P., der alle Latten am Zaun hat, seine s*xuelle Orientierung geheim halten. Das haben P.s mit Schuh..........en, Natursektliebhabern und Latexfreunden gemeinsam. Alles legal, keiner versteht es - und sie sind peinlich bemüht, es geheim zu halten, weil sonst die bürgerliche Existenz beim Teufel ist.
Diese Chance hatte E. nicht mehr. In dem Moment, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen ihn öffentlich machte, war er erledigt. Das verletzt mein Rechtsempfinden kolossal: Staatsanwälte haben Verbrechen aufzuklären und nicht ohne Not die Privatsphäre und den Ruf von unbescholtenen Bürgern zu zerstören.
Das Vorpreschen der Staatsanwälte wäre zwar nicht okay, aber doch verzeihlich gewesen, wenn das Material, das Edathy gekauft hat, richtig übles, eindeutig illegales Zeug gewesen wäre. Doch genau daran hakt es offenbar. Man hat bei ihm kein Material gefunden, das als illegal eingestuft werden konnte. Niemand von uns hat die Bilder gesehen, die er gekauft hat. Und in seinem "Geständnis" hat Edathy keineswegs gestanden, er habe KiPo gekauft. Er hat lediglich das Offensichtliche eingeräumt, nämlich dass die Bilder, die man bei ihm gefunden hat, ihm gehören. Dann hat er noch - ohne näher zu sagen, wie er das meint - eingeräumt, er habe "Fehler gemacht". Das kann alles mögliche bedeuten, vielleicht sogar, dass er besser auf seinen Dienst-Laptop hätte aufpassen müssen.
Zwischen-Fazit: Eine Staatsanwaltschaft hat die bürgerliche Existenz eines Verdächtigen zerstört, ohne genügend Belege für seine Schuld zu haben. Um aus der Nummer wieder rauszukommen, haben sie zugestimmt, das Verfahren gegen E. gegen Auflage einer Zahlung einzustellen. Der für dieses Schlamassel verantwortliche Staatsanwalt wird so schnell sicher nicht mehr befördert.
Und Edathy hat zugestimmt und gezahlt. Hätte er nicht tun müssen. Christian Wulff hat man ebenfalls angeboten, sein Verfahren wegen Vorteilsannahme im Amt gegen Zahlung eines Bußgeldes einzustellen. Wulff hat abgelehnt und hat es durchgezogen. Er ist freigesprochen worden, und wer jetzt noch behauptet, Wulff habe sich schmieren lassen, könnte juristischen Ärger bekommen. Wulff kann sich wieder eine Existenz aufbauen.
Das kann Edathy nicht. Selbst wenn sie ihn vom Vorwurf der KiPo frei gesprochen hätten - er bleibt ein geouteter P*dophiler. Damit ist er gesellschaftlich tot. Und da hätte ich an seiner Stelle auch die Reißleine gezogen, anstatt noch zwei Jahre lang jeden Tag am Presse-Pranger zu stehen. Und er weiß ja auch, dass ihm selbst ein ordentlicher Freispruch nichts nützt. Solche Helden wie dieser Spediteur hätten eben dann trotzdem Schilder an ihre Kiesbomber gemacht. Denn was ist schon ein Gerichtsurteil gegen die eigene Meinung?
Sampleman