ja und ? erzähl Andreas, wie ist dein Eindruck.
Mit max. 50km Länge der Probefahrt war die Vorgabe seitens des Händlers recht eng, aber ich konnte einen ganz guten Eindruck gewinnen. Insgesamt hat mir die Maschine gut gefallen, ich hab vieles, worüber ich bisher nur gelesen hatte, in real wieder gefunden bzw. weiß jetzt eher, was damit gemeint war.
Sowohl das gut ansprechende und zielgenaue Fahrwerk als auch das träge Einlenkverhalten über das die MOTORRAD schreibt, kann ich bestätigen. Auch den eigentlich temperamentvollen und charakterstarken Motor mit der Durchzugsschwäche in den unteren Gängen bei unteren und mittleren Drehzahlen. Aber mir hat die Sitzposition sehr gut gefallen, die Sitzbank könnte zwar höher sein (ich hatte die hohe Position gewählt) aber fühlt sich ausgezeichnet an. Straff und strapazierbar, als könnte man ab jetzt 12 Stunden non stop darin verweilen. Dabei gestört hat mich, dass ich mit meinen Knien gegen die Seitenverkleidung stoße, ich muss dadurch auf der Sitzbank weiter nach hinten rutschen als ich eigentlich würde und hänge beim nächsten Anbremsen aber wieder dran. Aber die Ruhe beim Fahren, dieses gleitende Gefühl, das sich einstellt, fand ich ziemlich gut. Alles lässt sich sehr leicht bedienen, der Motor reagiert sofort auf kleinste Gasgriffbewegungen und das Motorrad lässt sich insgesamt sehr easy fahren. Mir kam sie vom Charakter her wie ein Zwitter aus der KTM Adventure und einer 12GS vor.
Nicht so gut war die Scheibe (Yamaha Tourenscheibe (s. Bild), nicht die Serienscheibe), sie sorgte für starke Verwirbelungen genau am Helm, weshalb ich zwischen 100 und 130 km/h nichts mehr wahrnahm sondern nur noch den Wind peitschen hörte. Vermisst hab ich eine Ganganzeige, ich fand die Schaltwege zu lang, dafür aber den Einstellbereich der Hebel besonders für die Kupplung zu gering. Hier konnte man wählen zwischen etwas zu weit weg, deutlich zu weit weg und ich komm nicht mehr dran, und ich hab bei 192cm auch relativ große Hände bzw. lange Finger.
Die Bremse hat mich etwas enttäuscht, ich musste einmal eine Vollbremsung machen, weil ein Postbote vor mir auf die Straße sprang und ich von ca. 70 auf 10 km/h runter bremsen musste. Das ABS machte dabei (trockene Straße) einen unauffälligen Eindruck, allerdings vermisste ich den echten Biss in der Bremse. Ich habe noch 3-4 weitere testweise Vollbremsungen gemacht, aber es war immer gleich. Dagegen löst meine Alte BKV-GS einen Bremsfallschirm. Ok, ich fahre sowohl in der GS als auch zuvor in meiner R1 SRQ-Beläge, die absolut bissfest sind. vielleicht haben es da die Serienbeläge von Yamaha etwas schwerer. Allerdings hab ich die letzte 12GS mit Serienbremse auch brutaler in Erinnerung.
Der Motor läuft schön, allerdings dürfte er ruhig etwas kerniger klingen und ich würde mich wenn überhaupt nur für die entdrosselte Version interessieren. In den ersten vier Gängen entfaltet die XT1200 bei normalen Drehzahlen (2000-5.500 U/min) nicht mehr Temperament als meine 1150er GS Adv. und da sollte bei einer modernen Konstruktion eines 1200er 2-Zylinders einfach mehr kommen. Eine aktuelle 12GS geht nach meinem Empfinden spürbar mächtiger unten raus. Der Verbrauch ist aber sehr niedrig, ich hatte 4,9l auf dem BC stehen und da ich 2,4l nach meinen 47km nachgetankt habe, scheint das absolut glaubwürdig zu sein. Und da waren einige Beschleunigungsversuche in verschiedenen Gängen dabei, allerdings auch ca. 15km Stadtautobahn mit 80 bzw. 100er Limit. Meine GS hätte sicher nen guten halben Liter mehr geschluckt.
Unterm Strich ist es ein interessantes Motorrad, das mir gut gefällt und preislich noch (im Vergleich zur BMW) akzeptabel wäre... aber besonders nach dem Umsteigen auf meine GS merkte ich auch, dass es für den Nachfolger nicht leicht wird. Der größte Vorteil selbst meiner alten GS ist die Balance. Schon nach dem Anfahren merkte ich, wie sich sofort eine Art Zen-Gefühl einstellt. Die GS ist bereits ab Schrittgeschwindigkeit in totaler Balance, reagiert sensibel auf jeden Richtungsänderungs-Impuls, lässt sich aber auch exakt auf jedem Grad der Änderung halten. Die Yamaha wirkte dagegen kopflastig, störrisch und unverbindlich. Wenn man nicht mal konventionelle Vorderradführungen fährt, vergisst man, wie gut der Telelever ist. Er nimmt dem Fahrer enorm viel Stress ab, lässt ihn bei einer Vollbremsung auch nicht in den Asphalt beißen. Dazu der Boxer mit seiner ruhigen, sanften Art, der mit dir spricht und sagt "es wird alles gut".
Es mag mit den 70.000 gemeinsamen Kilometern zusammenhängen, aber das ist "zuhause" für mich. Manchmal hat man ja das Gefühl "angekommen" zu sein. Aufs Motorrad bezogen hab ich das nach der Probefahrt gestern zum ersten Mal auf meiner betagten GS gespürt.
