»Der Flow, Helfer und Feind zugleich«,
heißt es in Professor Bernt Spiegels Buch »Die obere Hälfte des Motorrads.«
Der tranceähnliche Zustand birgt neben hohen Glücksgefühlen auch Gefahr in sich.
Schon mal selbst erlebt? Sonntagmorgens in aller Frühe geht«s los. Die Straßen menschenleer. Das Wetter könnte schöner nicht sein. Mit jedem Kilometer läuft es besser. Nur fahren, fahren und fahren. Es gibt nur noch die Straße, das Motorrad und mich. Selten so gut drauf gewesen am frühen Morgen. Da kommt es dann zu Aussagen wie »es flog dahin wie im Traum«, »ich saß bei mir selbst hintendrauf« (beachte: »es flog« und »bei mir hinten drauf« – es war gar nicht mehr ich selbst, der da fuhr), »plötzlich ging alles von allein«, »ich habe alles um mich herum vergessen«,»es lief wie geschmiert«, »mit einem Mal bin ich gefahren wie ein junger Gott«. Hier bahnt sich der berühmte Flow an, oder er ist bereits eingetreten.
Flow, das ist das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit, was mit einem unbeschreiblichen und manchmal geradezu überwältigenden Glücksgefühl einhergeht. Flow kann sich bei der Ausübung der verschiedenartigsten, mehr oder weniger anstrengenden Tätigkeiten einstellen – Bergsteigen, Operieren, Langstreckenschwimmen, Schachspielen, Joggen, Motorradfahren, Musizieren, Skilaufen, Romanschreiben -, sofern sie nur genügend lange andauern und mit einer gewissen Monotonie ablaufen. Aber es müssen noch einige andere Bedingungen erfüllt sein.
Erstens:
Die Tätigkeit muss einwandfrei beherrscht werden. Der noch ungeübte Motorradfahrer wird also höchstens einmal auf ganz leichten Streckenabschnitten in den Flow-Zustand geraten, aber meistens tritt schon vorher eine erschwerende Situation ein, die dann eben nicht mehr mühelos beherrscht wird.
Zweitens:
Die Fähigkeiten des Ausübenden müssen genügend beansprucht werden. Beim Motorradfahren darf es also die Strecke dem Fahrer nicht zu leicht machen.
Drittens:
Auch die Leistungsbereitschaft, nicht nur die Leistungsfähigkeit – bei den meisten eine ziemlich schwankende Größe - muss im rechten Maß beansprucht werden, da ebenfalls weder Über- noch Unterforderung.
Damit wird auch deutlich, wieso es bei Rennen, in denen ununterbrochen um Positionen gekämpft wird, kaum einmal zum Flow kommt, dagegen viel eher bei Langstreckenrennen, wo der Flow äußerst hilfreich sein kann, um die Belastung durchzustehen (»es gab keine Gefahren, keine Anstrengung, keine Müdigkeit mehr, nur noch mühelose Leichtigkeit«). Das ist dann die fast trancehafte, totale Konzentration auf ein ganz begrenztes Feld, auf einen winzigen Ausschnitt der Welt, den der Fahrer beherrscht und überblickt, und in dem ihm keine übermächtigen Überraschungen drohen. Sorgen und Gefahren bleiben außerhalb, ebenso wie übergeordnete Ziele, Nutzenerwägungen oder Belohnung. Darum kann der Flow so hilfreich sein. Er macht lang andauernde Belastungen, wenn sie nicht zur Plackerei werden sollen, erst erträglich.
Aber er kann auch gefährlich werden! Das ist der Flow, in den man unbemerkt hineingleitet, den man vorher vielleicht noch nie erlebt hat, ja von dem man vielleicht noch nie etwas hörte. Er wird dann leicht zum ungeregelten Flow, der bei einem Risikosport enorme Gefahren birgt. Der Ablauf ist verhängnisvoll: Das extreme Wohlbefinden signalisiert dem Fahrer, dass er sich auf einem guten Weg befindet und ruft zugleich nach weiterer Verstärkung. Sein Bewusstseinsfokus wird immer enger, und dadurch werden alle warnenden Stimmen, alle Gefahren, die ja »draußen«, außerhalb des Fokus lauern, ausgeblendet. Entsprechend wächst die Risikobereitschaft immer mehr, und jedes erfolgreich bestandene Risiko vermittelt einen erneuten »Kick«. Die Sache potenziert sich, der Flow »geht durch« und lässt sich schon bald nicht mehr einfangen. Schließlich werden auch Pausen für überflüssig gehalten, stellen sie doch nur die Unterbrechung eines kaum mehr übertreffbaren Zustands dar.
Deshalb muss die Parole lauten: Stets auf Flow-Symptome achten! Sobald man sie bemerkt: Risiken ganz bewusst zurücknehmen, nicht noch weiter steigern! Aus dem ungeregelten Flow, der durchgeht, einen kontrollierten Flow machen, der mithilft.