WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ?

Diskutiere WASTL September 2023: Schon wieder Westalpen ? im Touren- & Reiseberichte Forum im Bereich Unterwegs; Prolog: Eigentlich habe ich gar keine Lust. Dreimal war ich auf dem Colle Sommeiller, am Forte Pramand, zweimal auf dem Monte Jafferau, Skipiste...
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Prolog:

Eigentlich habe ich gar keine Lust.


Dreimal war ich auf dem Colle Sommeiller, am Forte Pramand, zweimal auf dem Monte Jafferau, Skipiste rauf (naja, zumindest fast, bis die Kupplung von Manfreds Transe abgeraucht ist) und runter, kenne den Parpaillontunnel nach vier Durchfahrten in alle Richtungen auswendig, von der Assietta (mindestens fünfmal) mit all ihren Zweigen und Zufahrten Finestrelle, Finestre, Pian dell’Alpe usw. ganz zu schweigen.

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Colle Sommeiller 2015, als die Welt noch in Ordnung war

Ich bin die Bobbahn zur Mulatierra raufgeballert, auf der Piste zwischen der Punta Colomion und Puys mit Schmackes auf die Fresse gefallen, den Maultierpfad zum Lac de Mt. Cenis gefahren, habe den Lago Nero, den Lago dei Setti Colori und das Valle Argentera erkundet.

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Strada Bramafan 2018

Warum zur Hölle soll ich da schon wieder hinfahren, insbesondere nachdem mittlerweile Hinz und Kunz diese schöne Gegend „entdeckt“ hat und man bereits hinter Rochemolles die „Abenteurer“ mit acht Euro zur Kasse bittet?

Nur damit sie sich auf der groben Felspiste nach der Pian dei Morti den Berg raufquälen und ihre Felgen ruinieren, ganz zu schweigen von den -in meinen Augen- komplett Bescheuerten, die zu Tausenden im Juli zum Rifugio Scarfiotti pilgern um zu campen und einen Stein zu suchen, hinter den noch keiner geschissen hat, während andere sich an dem Tümpel, in den das reinläuft, die Zähne putzen?

Die sich abends die Kante geben, weil man das alles im Suff noch toller findet?

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Colle Sommeiller 2017, da gings auch noch...

Ich kenne die LGKS rauf und runter, bin die MSKS in beide Richtungen abgefahren, war x-mal auf dem Bonette, Galibier, Mt. Cenis, Cayolle, Vars, Anelle, Moutière, Langan, Tende, Valcavera, Sampeyre, Agnel und kann meine Karten und das Navi eigentlich zu Hause lassen.

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Colle Sommeiller 2018

Nein, da muss ich wirklich nicht nochmal hin, es gibt weit mehr zu entdecken, als diese ausgelatschte Gegend, die ich nun bald besser kenne, als meine unmittelbare Heimat im Gäu.

Aber genau das ist das Problem.

„Ist doch bestens, wenn Du Dich da so gut auskennst,“ meint Norbert „Nobi“ Gimpl, der beste Kfz-Meister ever, „denn ich war da noch nie und der Basti auch nicht“

„Basti“ ist Sebastian Müller, wie Norbert selbständiger Handwerksmeister, der sich als Zimmerer auch bestens aufs Nageln versteht.

Mike, als WASTL-Urgestein der ersten Stunde ist auch mit von der Partie, ich bin bereits überstimmt.

Trotzdem habe ich Bedenken, mir sitzt noch mein Ausrutscher vom September 2022 auf einem TET in Frankeich in den Knochen, als mir meine F800GS mit vollem Gepäck auf einem schmierig – glitschigen Feldweg vorn und hinten wegrutschte, wobei ich mir beide Syndesmosebänder im rechten Sprunggelenk abriss und das Kreuzband überdehnte.

Dazu ein Blick in den Spiegel, der den in den Ausweis gnadenlos bestätigt, im September, wenn es losgehen soll, bin ich sechsundsechzigeinhalb Jahre alt.

Ich komme zu dem Ergebnis, dass das nichts mehr für mich ist und buche für die erste Septemberwoche eine Ferienwohnung für vier Personen in Briancon.

Es ist Mitte Mai, meine Frau und ich sind gerade von einem altersgerechten Trip nach Elba und in die Toskana mit unserem BMW Z4 Roadster zurück.

Gute Hotels, dinieren im Strandrestaurant, schöne Straßen entlang der oberitalienischen Seen, entspanntes cruisen am Mittelmeer im offenen, sonor brummenden Dreiliter-Sechszylinder, so gefällt mir das und wer weiß, was bis September noch alles passiert.

Nichts. Es passiert nichts.

Lediglich der Termin rückt immer näher, die letzte Chance, kostenfrei zu stornieren ist vergeben, auch die leichtere Suzuki DR650, die ich eigentlich nehmen wollte, wird nicht fertig, ich habe überhaupt keine Lust zum Schrauben.

Aber ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Und meine F800GS auch nicht. Das arme Ding hat schon 180.000 km auf dem Buckel, wiegt 230 Kilo, der zweite Gang hält bei Vollgas nicht mehr mit und flutscht in den Leerlauf, damit muss ich jetzt klarkommen.

Nobi und Basti haben mit einer Aprilia 660 „Tuareg“ und einer Yamaha 700 Ténéré zwar auch keine Sportenduros, aber die beiden Jungs sind eben 20 bis 30 Jahre jünger und gut trainert.

Die Tatsache, dass Mike, Ende fünfzig und Hard-Alpi – geprüfter XT 600 Ténéré – Fahrer, sich eine leichte SWM RS650R Sportenduro rausgelassen und für schweres Geläuf neu bereift hat, trägt auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.

Lediglich meine Frau meint “Das packst Du schon“ und die muss es schließlich wissen.


Wird fortgesetzt.
 
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Eigentlich habe ich gar keine Lust.


Dreimal war ich auf dem Colle Sommeiller, am Forte Pramand, zweimal auf dem Monte Jafferau, Skipiste rauf (naja, zumindest fast, bis die Kupplung von Manfreds Transe abgeraucht ist) und runter, kenne den Parpaillontunnel nach vier Durchfahrten in alle Richtungen auswendig, von der Assietta (mindestens fünfmal) mit all ihren Zweigen und Zufahrten Finestrelle, Finestre, Pian dell’Alpe usw. ganz zu schweigen.

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Colle Sommeiller 2015, als die Welt noch in Ordnung war

Ich bin die Bobbahn zur Mulatierra raufgeballert, auf der Piste zwischen der Punta Colomion und Puys mit Schmackes auf die Fresse gefallen, den Maultierpfad zum Lac de Mt. Cenis gefahren, habe den Lago Nero, den Lago dei Setti Colori und das Valle Argentera erkundet.

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Strada Bramafan 2018

Warum zur Hölle soll ich da schon wieder hinfahren, insbesondere nachdem mittlerweile Hinz und Kunz diese schöne Gegend „entdeckt“ hat und man bereits hinter Rochemolles die „Abenteurer“ mit acht Euro zur Kasse bittet?

Nur damit sie sich auf der groben Felspiste nach der Pian dei Morti den Berg raufquälen und ihre Felgen ruinieren, ganz zu schweigen von den -in meinen Augen- komplett Bescheuerten, die zu Tausenden im Juli zum Rifugio Scarfiotti pilgern um zu campen und einen Stein zu suchen, hinter den noch keiner geschissen hat, während andere sich an dem Tümpel, in den das reinläuft, die Zähne putzen?

Die sich abends die Kante geben, weil man das alles im Suff noch toller findet?

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Colle Sommeiller 2017, da gings auch noch...

Ich kenne die LGKS rauf und runter, bin die MSKS in beide Richtungen abgefahren, war x-mal auf dem Bonette, Galibier, Mt. Cenis, Cayolle, Vars, Anelle, Moutière, Langan, Tende, Valcavera, Sampeyre, Agnel und kann meine Karten und das Navi eigentlich zu Hause lassen.

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Colle Sommeiller 2018

Nein, da muss ich wirklich nicht nochmal hin, es gibt weit mehr zu entdecken, als diese ausgelatschte Gegend, die ich nun bald besser kenne, als meine unmittelbare Heimat im Gäu.

Aber genau das ist das Problem.

„Ist doch bestens, wenn Du Dich da so gut auskennst,“ meint Norbert „Nobi“ Gimpl, der beste Kfz-Meister ever, „denn ich war da noch nie und der Basti auch nicht“

„Basti“ ist Sebastian Müller, wie Norbert selbständiger Handwerksmeister, der sich als Zimmerer auch bestens aufs Nageln versteht.

Mike, als WASTL-Urgestein der ersten Stunde ist auch mit von der Partie, ich bin bereits überstimmt.

Trotzdem habe ich Bedenken, mir sitzt noch mein Ausrutscher vom September 2022 auf einem TET in Frankeich in den Knochen, als mir meine F800GS mit vollem Gepäck auf einem schmierig – glitschigen Feldweg vorn und hinten wegrutschte, wobei ich mir beide Syndesmosebänder im rechten Sprunggelenk abriss und das Kreuzband überdehnte.

Dazu ein Blick in den Spiegel, der den in den Ausweis gnadenlos bestätigt, im September, wenn es losgehen soll, bin ich sechsundsechzigeinhalb Jahre alt.

Ich komme zu dem Ergebnis, dass das nichts mehr für mich ist und buche für die erste Septemberwoche eine Ferienwohnung für vier Personen in Briancon.

Es ist Mitte Mai, meine Frau und ich sind gerade von einem altersgerechten Trip nach Elba und in die Toskana mit unserem BMW Z4 Roadster zurück.

Gute Hotels, dinieren im Strandrestaurant, schöne Straßen entlang der oberitalienischen Seen, entspanntes cruisen am Mittelmeer im offenen, sonor brummenden Dreiliter-Sechszylinder, so gefällt mir das und wer weiß, was bis September noch alles passiert.

Nichts. Es passiert nichts.

Lediglich der Termin rückt immer näher, die letzte Chance, kostenfrei zu stornieren ist vergeben, auch die leichtere Suzuki DR650, die ich eigentlich nehmen wollte, wird nicht fertig, ich habe überhaupt keine Lust zum Schrauben.

Aber ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Und meine F800GS auch nicht. Das arme Ding hat schon 180.000 km auf dem Buckel, wiegt 230 Kilo, der zweite Gang hält bei Vollgas nicht mehr mit und flutscht in den Leerlauf, damit muss ich jetzt klarkommen.

Nobi und Basti haben mit einer Aprilia 660 „Tuareg“ und einer Yamaha 700 Ténéré zwar auch keine Sportenduros, aber die beiden Jungs sind eben 20 bis 30 Jahre jünger und gut trainert.

Die Tatsache, dass Mike, Ende fünfzig und Hard-Alpi – geprüfter XT 600 Ténéré – Fahrer, sich eine leichte SWM RS650R Sportenduro rausgelassen und für schweres Geläuf neu bereift hat, trägt auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.

Lediglich meine Frau meint “Das packst Du schon“ und die muss es schließlich wissen.


Wird fortgesetzt.
Schöner Bericht, an vielen Orten war ich auch schon, ein spezielles Erlebnis hatten wir mal oben am Punta Colomion, wir waren am morgen zuerst auf der anderen Talseite auf dem Jafferau auf 2800 Meter, unterwegs kamen wir mit einem richtigen Biker aus Ö ins Gespräch, dann runter ins Tal nach Bardonecchia auf 1300 Meter zum Mittagessen.
Nach dem Mittagessen ging es dann hoch zum Colomion, auf 2050 Meter über Meer,
und wer kam da nach ~5 Minuten an, der Ö Biker, wir haben dann noch lange mit dem gequatscht.
Ich habe sein Moutainbike mal angehoben, und ihne dann gefragt ob 7`000 .- Euronen reichen würden, er meinte trocken: nicht ganz.
An ihm waren ausser Knochen Muskeln und Haut nicht viel dran, er machte dort in ca einer Woche so um die 20`000 Höhemeter. :eekek:


Josef
 
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Samstag, 2. September

Pünktlich um 4:30 Uhr stellt Mike seinen Suzuki „Jeep“ bei uns im Hof ab. Die beiden Motorräder, seine SWM RS650R und meine BMW F800GS haben wir am Vorabend schon auf den Trailer geladen und festgezurrt. So muss Mike nur noch sein Gepäck in meinen alten Diesel schmeißen und wir können los.

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Durch Freudenstadt und die verschlafene Ortenau erreichen wir die A5, die wir am Dreieck Neuenburg verlassen und den Rhein nach Frankreich überqueren. Mulhouse – Besancon – Lyon – Grenoble, das sind knapp 700 km, dann haben wir noch 100km Landstraße nach Briancon.

Durch die Schweiz via Genfer See wären es 120 km weniger, aber ich fahre sehr ungern durch die Schweiz. Transit auf der Autobahn mit PKW oder Motorrad geht noch, auch die Gebühren sind mit 40 Franken für ein Jahr geringer als alles in I oder F, selbst wenn ich dem Trailer eine Extra-Vignette spendieren muss.

Aber mit dem Trailer stets genauestens darauf zu achten, dass man nicht schneller als 80 fährt, dazu die drastischen Strafen, wenn man auch nur die geringste Überschreitung begeht, das geht mir auf den Sack.

Hinzu kommt, dass ich nach dem Genfer See ein paar nicht zu verachtende Pässe, alternativ schweineteure Tunnels, fahren müsste.

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In Frankreich darf ich mit dem Gespann 130 fahren, das ist ein angenehmes Reisetempo, zudem ist auf der gesamten Strecke kaum mit einem Stau zu rechnen, das sieht rund um Zürich und Bern anders aus.

Da der Trailer nebst Ladung weniger als 200 cm hoch ist, werden für den Anhänger in Frankreich keine extra Gebühren erhoben.

Insgesamt werden hin und zurück 86 Euro Maut fällig, zwei Vignetten hätten 84 gekostet, dazu 5 Euro Versand beim ADAC.

Die Reise verläuft störungsfrei.

Wir legen bei Lyon eine Pause ein. Während Mike seine Zigarette raucht, kontrolliere ich die Gurte der Motorräder. Als ich die vordere Verzurrung meiner BMW prüfe, sehe ich den Schlamassel.

„Scheiße“ entfährt es mir.

„Oh -oh“, meint Mike, denn der linke Gabelholm der BMW sifft. Das Gabelöl der USD-Gabel ist bereits über den Bremssattel und den Reifen gelaufen und hat auf der Standschiene des Trailers eine kleine Pfütze gebildet.

Aber – es ist WASTL. Und wenn es bei WASTL eines gibt, dann immer eine Lösung für scheinbar unlösbare Probleme. Insofern bin ich weit davon entfernt, mir große Sorgen um die Einsatzfähigkeit meiner alten Gefährtin zu machen. Ich erinnere mich auch an die WASTL 2017, als ich von Bardonecchia 130 km nach Turin gefahren bin, um in der dortigen Honda-Niederlassung Ersatz für Manfreds abgebrannte Kupplung der Transalp zu holen, die wir dann nachts in der Hotel-Tiefgarage gewechselt haben. Manfred wollte schon den ADAC rufen, dass die die Transe holen.

Dass die siffende Gabel nicht das einzige, scheinbar unlösbare Problem sein wird, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Während wir weiterfahren, reden wir über mögliche Lösungen und schicken Basti eine whatsapp, die sollen in Briancon einen Liter dünnes Öl besorgen.

Norbert und Basti sind schon am Freitag Abend mit Bastis Zimmerer – Transit losgefahren, die Tuareg und die T7 auf dem Trailer und Norberts Geheimwaffe, eine alte Yamaha TDR250, einen megagiftigen Zweitakter, im Bus.

Entsprechend wollen sie den Tag in Briancon verbringen, denn den Schlüssel für die FeWo bekommt man frühestens um 16 Uhr und muss ihn in irgendeiner Spielhölle am anderen Ende der Stadt holen.

Die Kommunikation mit dem Wohnungsvermieter ist eine mittlere Katastrophe. Ich habe über booking.com gebucht, die vermitteln wiederum an eine französische Dachagentur und die an eine weitere in Briancon.

Letztere ist geprägt von Inkompetenz und Faulheit. Weder wird die Wohnung vor Ort übergeben, noch danach übernommen. Dafür erhält man eine lange Liste dessen, was man alles beachten muss und was verboten ist.
Für Handtücher und Bettwäsche werden horrende Mietpreise verlangt, da wir mit PKW bzw. einem Van anreisen, bringen wir das selbst mit.

Leider ist man seitens der Agentur nicht einmal fähig, die Ausmaße der Bettdecken mitzuteilen, die man beziehen muss, denn die Betten sind unterschiedlich groß.

Nahezu zeitgleich mit den Anderen treffen wir in der Av. du Lautaret 43 in Briancon ein. Der angeblich zur Wohnung gehörende Stellplatz vor der Tür ist belegt und wird es auch die ganze Woche bleiben, in dem Haus wohnen zwei weitere Parteien. Aber gegenüber hat es genug Platz für die Gespanne und die Bikes.

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Das Auto auf „unserem“ Stellplatz gehört einer netten Familie mit einem kleinen Mädchen. Passt so.

Die rund 80 qm große Wohnung erfüllt unsere Ansprüche. Es gibt drei Schlafräume mit je zwei großen und zwei Einzelbetten. Die Küche ist gut ausgestattet, es fehlt an nichts, ein großer Balkon mit Blick über die im Talkessel liegende Stadt wird unser allabendlicher Aufenthaltsort.

Zu einem Zimmer gehört eine Extradusche, über die sich Mike freut, es gibt ein separates WC und ein Bad mit Wanne. Dazu ein großes Wohnzimmer mit Couchgarnitur und einem großen Essplatz. Eine zentrale Diele verbindet die Räume.

Alles ist ein wenig in die Jahre gekommen, aber funktional und einigermaßen sauber, für eine Wochenmiete von rund 700 Euro für Briancon im Rahmen.

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Motorräder abladen, Gepäck verstauen, Betten beziehen, Basti und Norbert haben eingekauft, wir haben zu essen, Wasser und Bier.

Zur Begrüßung mixt Nobi eine Bloody Mary.

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Dann packt Norbert sein Akkordeon aus, neben ein paar nicht ganz jugendfreien Texten singen wir zu „Bella Ciao“, einem Partisanenlied aus dem zweiten Weltkrieg. Es macht nichts, dass keiner mehr vom Text kennt, als „Partigiano“ und „Bella Ciao“, die Quetsche ist laut genug.

Ich denke an die Verbotsliste, da steht auch was von Parties, lauter Musik und Gesang. Ich befürchte, dass irgendeiner meckert, aber ich vergesse, dass wir nicht mehr in Deutschland sind.

Es wird ein lustiger Abend, um Mitternacht liegen aber alle im Bett.

Um die siffende BMW-Gabel kümmere ich mich morgen, irgendeine Lösung wird sich finden.
 
KingWenceslas

KingWenceslas

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cooler vibe in deinem bericht. kann vieles nachvollziehen!
 
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Reincarnator

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Sonntag, 3. September

Norbert steht das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben:


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„Wir haben keinen Zucker!“


In der Tat haben wir Kaffee und Milch, aber an den Zucker hat keiner gedacht. In den Vorratsschränken der Küche finden wir Salz, Pfeffer, Gewürze, Teebeutel – aber keinen Zucker.

Gut – gibt’s eben Milchkaffee ohne Zucker. Nobi ist nicht begeistert.

Nach dem Frühstück kümmere ich mich um meine BMW und die siffende Gabel. Mike begleitet mich, Basti kommt auch dazu, er hat das Öl im Auto.

Meine stille Hoffnung, dass die Trielerei aufhört, wenn die Gabel entspannt ist, denn die F800GS war auf dem Trailer ordentlich in die Federung gespannt, erfüllt sich leider nicht. Nachdem ich alles sauber mit Bremsenreiniger abgespült und trockengerieben hatte, ist das Tauchrohr nach dreimaligem Einfedern erneut ordentlich ölfeucht.

So hat das keinen Wert.

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Ich habe ein spezielles tool, um siffende Enduro - Gabeldichtringe von etwaigen Fremdkörpern zu befreien und habe mir schon gestern vorgenommen, das auf solchen Reisen künftig auch mitzuführen.

Momentan liegt es zu Hause in meiner Werkstatt, ich hatte Mike gestern während der Fahrt die Funktionsweise des einfachen Plastikrings erklärt, er kannte das tool bis dahin nicht. Aber er hatte sofort eine Idee: „Könnte man sowas nicht aus einer Plastikflasche schneiden?“

Die Idee ist genial. Eine 0,5l Pfandflasche „Quintusquelle naturel“ muss dran glauben, mit der ausgeschnittenen scharfkantigen Nase komme ich unter den Dichtring und fahre mit einer drehenden Abwärtsbewegung mehrmals über das Standrohr darunter.

Es funktioniert. Der Holm scheint dicht zu sein. Wir schrauben kurz den Lenker ab und die Gabelholme auf, weshalb ich vor der Abfahrt noch einen Meterstab zu meinem Werkzeugkoffer gelegt habe, weiß ich nicht, aber den brauche ich jetzt.

Ich messe die Luftkammer des rechten Holms und mit dem Rest der Sprudelflasche als Trichter füllen wir den linken um die fehlende Menge mit Motoröl auf. Etwa 70ml hatte der linke Holm verloren, das ist ordentlich.

Dass bei den rund 500ml pro Holm jetzt 70ml 10W40 im Wilbers zero friction enthalten sind, ist vollkommen unerheblich. Die Gabel verrichtet ihre Arbeit und bleibt auch auf den folgenden tausend Kilometern mit teilweise üblen Pisten staubtrocken.

Freudig kehren wir zurück in die Wohnung, wo uns Norbert mit breitem Grinsen empfängt. Er hat Zucker. Während wir an der BMW schraubten, hat er sich mit dem Akkordeon auf den Balkon gesetzt und gespielt.

Und während in Deutschland zu 99% irgendein tobender Nachbar auf die Hausordnung und den Sonntagmorgen verwiesen hätte, kam die Hausmitbewohnerin mit ihrer kleinen Tochter, die vom Spiel begeistert und gerührt waren, herunter, um zuzuhören.

Und brachte sofort eine Schale Zucker.

Das ist Frankreich. Herrlich.

Es ist fast Mittag, was machen wir jetzt mit dem angefangenen Tag?

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Ich habe mir zum Eingrooven ein paar leichte Pisten aufs Navi gezogen. Die erarbeite ich mit dem itn-Konverter und meiner Ortskenntnis auf dem laptop, nicht jede kleine Abzweigung im Wald habe ich noch im Kopf, da ist es hilfreich, wenn mich das Samsung Xcover5, das ich als Navi nutze, unterstützt.

Die auf dem läppi generierte Route lässt sich sehr einfach mit dem Navi-smartphone synchronisieren, ich nutze mein anderes smartphone als Hotspot, die Miete für WLAN ist ähnlich unverschämt teuer, wie die Handtücher und die Bettwäsche, das können die sich an den Hut stecken.

In Frankreich fallen keine roaming-Gebühren an und ich habe genug Datenvolumen.

Keinesfalls sollte man sich blind aufs Navi verlassen, eine genaue Routenbeschreibung ist hilfreich, das kann man sich in der online-Karte alles groß aufziehen und eine Art roadbook schreiben.

Oder sich ganz einfach merken, so mache ich das.

Die Avenue du Lautaret liegt im Norden von Briancon, so müssen wir nicht durch das Verkehrschaos der Stadt, sondern können direkt zum Col du Montgenèvre starten, auf dem die Grenze zu Italien verläuft. Vor dem nächsten Tunnel nach der Grenze halte ich mich rechts, so gelangen wir in den Ort Claviere, in dem ich nach dem Golfplatz rechts abbiege, hier beginnt die Schotterstraße, die uns zum Colle Bercia, dem Lago Nero und letztendlich wieder hinunter nach Bousson führt.

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Von dort habe ich vor, weiter nach Sauze di Cesana zu fahren, einige km nach dem Ort nach rechts den Stich ins Valle Argentera zu machen und dann sehen, wie es weitergeht. Ich kenne da eine kleine, bewirtschaftete Berghütte, da kann es durchaus mal etwas länger dauern.

Ich lasse es langsam angehen, es ist schon etwas länger her, dass ich auf den Rasten stehend Schotterpisten gefahren bin, ich muss mich erst wieder eingewöhnen, aber das klappt ganz gut.

In Sauze di Cesana legen wir einen kurzen Halt am Hotel Cima del Bosco ein. Das war mehrmals unser Basislager, dort haben wir geschlafen, gut gegessen und in der Tiefgarage die Kupplung der Transe repariert. Das Haus ist geschlossen, der Garten zugewuchert, Türen und Fensterläden geschlossen, alles verfällt. Ein Jammer. Auch die haben Corona nicht überlebt.

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Kann man nichts machen, das Valle Argentera wartet. Ich sehe uns schon an dem kleinen Bach entlang stauben, die erdigen Serpentinen zur Alm erklimmen und auf dem Rückweg in der Vesperstube sitzen.

Das wird geil.

Nichts wird’s.

Wo früher der Weg zum Kassenhäuschen hinunter führte, an dem man für den Besuch des Tals drei Euro abstecken musste, ist jetzt eine rot-weiße Sperre. Die ist unmissverständlich, kein Durchkommen. Weshalb auch immer.

Okay. Auch gut, Plan B: Die Assietta-Kammstraße. Es ist rum 14 Uhr, das passt. Wenig später biegen wir auf die staubige Piste ein, die als SP173 hinter Sestriere zum Colle Basset hinaufführt.

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Es ist traumhaft. Die Sonne scheint, der weite Blick ist von den hohen Cirruswolken nicht getrübt, die Piste trocken und für einen Sonntagnachmittag ist wenig los.

Es ist September. Bis Ende August hätten wir an einem Sonntag nicht auf die Assietta fahren dürfen.

„Natürlich geht das!“ Norbert deutet auf den Steilhang mit losem Geröll, der die erste Serpentine vom Colle Basset Richtung Nordosten abkürzt. Ein Hundertprozenter, im oberen Bereich etwas mehr.

Mike hat das vor sechs Jahren mal mit der XT600 Ténéré probiert und ist auf halber Höhe gescheitert.

Ich bin froh, dass keiner von mir verlangt, da rauf oder runter zu fahren. Ich bin doch nicht bekloppt. Außerdem kenne ich meine Grenzen, die wurden mir schon letzten September schmerzhaft aufgezeigt.

Ich bin zwar der Guide, ich kenne alle diese Straßen, aber mein Spezialgebiet ist scouten und navigieren. Der „Geländecrack“ bin ich wahrhaftig nicht. Meine kleine GS und ich bringen zusammen gute 350 kg auf die Waage, ich gehe stramm auf die 70 zu und fahre gerade mal seit 8 Jahren abseits asphaltierter Straßen, während Nobi das schon als Jugendlicher angefangen hat.

Auch was die körperliche Konstitution anbelangt, brauche ich mir keine Illusionen mehr zu machen, da noch mithalten zu können, der Zug ist abgefahren und die Burschen sind trainiert. Beneidenswert, wie Norbert und Basti auf ihren Motorrädern stehen, die ihnen passen, wie Maßanzüge, so eine Formulierung von Mike, der für seine SWM mit seinen fast zwei Metern doch etwas zu groß ist.

Wenige Minuten später nimmt Nobi unten Anlauf und jagt die Tuareg den Steilhang hinauf. „Na also, geht doch“ grinst er breit.

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Es versteht sich von selbst, dass Nobi und Basti auch diesen Hang hinunterfahren. Mike fährt -wie ich auch – außen auf der Straße, ich vermute jedoch, eher aus Solidarität, damit ich nicht ganz als looser dastehe.

Wir cruisen die Assietta entlang, es ist herrlich. Ich zähle sie zu einer der landschaftlich schönsten, hochalpinen Kammstraßen und wir halten immer wieder an, um zu fotografieren und uns an der Natur zu erfreuen.

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Meine anfängliche Skepsis ist fast zerstreut, sobald man dort ist, ist es doch wieder geil. Und wer weiß, wie lange das noch geht, ich muss jetzt bereits dankbar sein, das noch zu stemmen.

Außerdem weiß ich ja noch nicht, was die nächsten Tage auf mich zukommt.

So langsam meldet sich der Magen, seit dem Frühstück haben wir nichts mehr gegessen, nur getrunken. Ich habe bei der Abfahrt darauf geachtet, dass wir genug Wasser dabeihaben, ich weiß, wie wichtig das ist. Basti hat Seitentaschen an seinen Sturzbügeln, da passt was rein. Noch fährt er auch mit Topcase, bis die Qualität des SW-Motech-Trägers dem die nächsten Tage ein Ende setzt.

So kommt uns das Rifugio Alpe Pintas an der Einmündung in die SP172 zum Colle Finestre gerade Recht. Wir trinken was, verdrücken ein Sandwich und erfreuen uns an der Schönheit der Natur.

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Irgendwann ist es aber an der Zeit, sich von der Schönheit der Natur, der ich unwissentlich die ganze Zeit den Rücken zuwandte, denn die saß im sehr kurzen Rock an einem Tisch hinter mir, loszureißen, die Uhr tickt und es ist noch ein Stück bis nach Briancon in unsere Basishöhle.

Über den Finestre und Meana di Susa ist es recht weit, zudem ist die SS24, Susa-Oulx nicht besonders schön.

Über die Kammstraße der Assietta zurück will ich auch nicht, ins Chisonetal gibt es noch zwei weitere, zur Strada dell’Assietta gehörende Zweige, die asphaltierte Abfahrt nach Balboutet und die geschotterte, vorbei am Forte Serre Marie nach Depot, letztere wähle ich.

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An der Kehre beim Fort halte ich an, Mike ist hinter mir, aber die beiden Jungen fehlen. Es dauert eine Weile, bis sie aus dem Wald kommen, dann fahren wir zusammen weiter. Auch als Basti ein paar Kilometer später hupt und anhält, sich sodann zusammen mit Norbert am Lenker der T7 zu schaffen macht, denke ich mir nichts.

Wir beschließen die Tour in einem Restaurant am Ortseingang von Briancon, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass Musik von Frank Sinatra läuft.

„Strangers in the Night“ und „My Way“. In dieser Reihenfolge. Nach “Strangers in the Night” kommt “My Way”. Und nach „My Way“ wieder… genau. Man hat nur diese zwei Titel. Das muss reichen.

„Weißt Du eigentlich genau, wo wir heute gefahren sind?“ will Nobi später von mir wissen. Ich schaue ihn entrüstet an. Zweifelt er an meinen navigatorischen Fähigkeiten oder gar meiner Ortskenntnis?

„Selbstverständlich“ erwidere ich fast schon beleidigt, „jeden Meter“.

„Sehr gut“ meint Nobi. „Da müssen wir morgen nochmal hin“.

„Häh?“

„Vermutlich liegt da irgendwo der Autoschlüssel vom Transit.“

Bevor die Verwirrung noch größer wird, werden wir aufgeklärt. Dass die beiden etwas verzögert nachkamen, hatte seinen Grund. Basti ist wohl etwas übermütig die staubig-rutschige Piste runtergedüst und hat die Ténéré in einer Rechtskurve geradeaus seitlich gegen eine Natursteinmauer geworfen.

Zum Glück ist ihm außer ein paar blauen Flecken nichts passiert und die Ténéré hat nur einen krummen Lenker und eine kräftige Beule in der Vorderradfelge abbekommen, aber die Seitentasche, in der neben einer Wasserflasche auch einer der beiden Wohnungsschlüssel und der Schlüssel zu seinem Transit war, hat es zerlegt. Beidseitig. Die zerdrückte Flasche und den Wohnungsschlüssel haben die beiden im Gras an der Mauer gefunden, an den Autoschlüssel hat niemand gedacht.

Und der fehlt jetzt.

Heilige Scheiße!

Ich beruhige: „Es ist WASTL. Jedes noch so große Problem wurde bislang auf einfache Weise gelöst.“

Ich ahne aber selbst nicht, wie Recht ich damit haben sollte.
 
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Reincarnator

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Moin Leute.

Sehr gerne hätte ich jetzt die Ereignisse von Montag, dem 4. September gepostet und mit Bildern und Video garniert, leider ist alles, was ich gestern Abend bis zu später Stunde noch geschrieben und auch sicher gespeichert habe, von der Festplatte verschwunden und nicht wieder auffindbar.

Ich finde zwar die roaming Datei, zuletzt bearbeitet gestern um 22:15 Uhr, das passt, aber der Inhalt endet mit dem, was ich um 19:22 am Bürorechner gespeichert habe. 6 Seiten fehlen.

Keine Ahnung, weshalb.

Dabei war ich gestern so schön im Schreib-Flow und konnte m.E. die Eindrücke des wirklich spannenden Nachmittags des 4.9. nachvollziehbar wiedergeben, jetzt bin ich eher gefrustet und habe keine Lust zu schreiben.
Sobald ich wieder Bock habe, geht es weiter.
 
elfer-schwob

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Ach komm, Stephan, das kennen wir doch alles noch aus Zeiten von M-Text!
Das Geschreibsel einer halben Nacht war flugs beim Kaffeeholen im Nirwana...💩
Aber die Version 2.0 war meist noch besser als die 1.0, wenn auch nicht mehr ganz so geschliffen, was Syntax, Interpunktion und Grammatik i. w. S. betraf.

Gib Dir nen Ruck! Erst anfüttern und dann aushungern ist nicht die feine...

Rainer
 
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Da hast du sicher schon irgendwie recht aber überleg mal wie lande M-Text schon her ist 🤔 damals waren wir praktisch noch jung, die Frustrationsgtenze niedriger und es blieb ja nichts anderes übrig!
hoffen wir mal das sich die neue Energie bald wieder aufbaut und die neun Zeilen fliesen! 🙏😊
 
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Reincarnator

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Montag, 4.September

„Die ist wirklich ordentlich“, kommentiert Basti die wirklich ordentliche Beule in der Vorderradfelge seiner Yamaha 700 Ténéré, „aber das mit dem Schlüssel ist noch blöder“.

Die linke Seitentasche der T7 ist beidseitig zerrissen, der Schlüssel zu Bastis Transit kann also sowohl links als auch rechts aus der Tasche geflogen sein. Vor allem kann das irgendwo zwischen der ersten Rechtskurve vor dem Fort Serre Marie und Briancon passiert sein. Immerhin eine Strecke von 71 Kilometern.

Norbert meinte am Abend zuvor noch, er solle auch in die Motorschutzwanne schauen, aber da ist er auch nicht.

Die Sache erscheint aussichtslos und Basti meint, er ruft jetzt seiner Frau an, dass die einen Ersatzschlüssel per Express nach Briancon schickt.

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„Lass‘ uns erst mal vor Ort nachschauen“, meine ich, ohne selbst genau zu wissen, wo ich den Optimismus hernehme, „bislang hat sich jedes WASTL-Problem lösen lassen.“

Zunächst versucht Basti jedoch sein Glück in einer Motorradwerkstatt in Briancon, ob die ihm bei der verbeulten Felge helfen können, ersatzweise will er einen Gummihammer kaufen und es selbst versuchen.

Ich weiß zwar aus eigener Erfahrung mit der ersten Behr-Felge meiner F800GS, dass sich da wohl nichts mehr gerade klöppeln lässt, aber Versuch macht kluch.

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis Basti zurück ist, helfen wollte ihm keiner, den gesuchten Gummihammer hat er auch nicht und mit dem normalen Schlosserhammer, den er gekauft hat, lässt sich erwartungsgemäß nichts ausrichten. Die Kraft, die eine Felge so verformen kann ist schon gewaltig.

Zu seinem Trost sage ich ihm, dass man auch mit einem sehr großen Gummihammer nichts bewirkt.

Gegen 13 Uhr nehmen wir Kurs auf die Alpe Pintas. Via Purrières und Balboutet sind das knapp 60 Kilometer, wir finden die besagte Kurve, auch die Spur, die geradeaus in die Mauer führt, finden wir. Was wir nicht finden, ist der Autoschlüssel. Eine halbe Stunde rupfen Norbert und Basti Gras, Mike und ich suchen den Boden ab, rund um die Einprallstelle ist schon alles kahl, aber in Sachen Schlüssel lautet die Diagnose: Fehlanzeige.

Basti ruft seine Frau an, sie soll den Ersatzschlüssel schicken, läuft dabei zurück zu seiner T7, die er etwas vor der Kurve abgestellt hat.

„Ich habe ihn“.

Basti kommt lachend um die Ecke: „das müsst ihr Euch ansehen“. Er hatte den Schlüssel die ganze Zeit bei sich. Zumindest am Mopped. Durch den Anprall hatte es den Schlüssel durch die Tasche gedrückt und so war er auf dem Zylinderkopf gelandet, wo er sich einkeilte und über 130 km dort festsaß.

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Basti fischt den Schlüssel samt dem daran hängenden Kapselheber heraus, der Schlüssel ist unbeschädigt.

Damit übernimmt Basti den Titel „Oberwastl“, der Mike 2015 verliehen wurde, als er einen Tankrucksack am Heck der XT600 über die pian dei morti am Sommeiller schleifte, während er selbigen suchte.

Zur Feier des Tages wollen wir erst mal in die Alpe Pintas, etwas trinken. Aber die hat Montag Mittags geschlossen, weshalb wir über den Colle Finestre nach Susa fahren, denn ich brauche dringend eine Tankstelle.

Ich habe die letzte Tankrunde ausgesetzt, jetzt blinkt die Tankanzeige der 800er schon geraume Zeit ganz aufgeregt und die nächste Tankstelle, die ich sicher weiß, ist die AGIP in Susa.

Wie immer bietet sich vom Finestre ein grandioser Blick auf die Berge auf der anderen Seite des Tals des Fiume Dora Riparia und die Serpentinen der Nordrampe.

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Die sind allerdings frisch mit Grobsplitt eingestreut, das ist wahrlich kein Spaß und richtig scheiße zu fahren.

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Die Tanke erreiche ich mit einer Restreichweite von 9 km und tanke 16,4 Liter feinstes Superbenzin. Für einen 16l-Tank nicht schlecht.

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Wir bleiben noch eine Weile sitzen und genießen ein Kaltgetränk, mittlerweile ist es 16 Uhr vorbei, es lohnt sich also nicht mehr, großartig etwas anzufangen, besser, wir haken den Tag als gebraucht ab.

Wir fahren Richtung Oulx.

Die Nachmittagssonne strahlt auf das Tal des Fiume Dora Riparia, als wir auf der Strada Statale über das kleine Pässchen zwischen Exilles und Salbertrand fahren, das von je zwei 180 Grad – Serpentinen eingerahmt wird. Unmittelbar nach der Anhöhe ist rechts ein Parkplatz, den ich ansteuere

Ich habe nach einem Blick auf die Uhr und den Sonnenstand eine andere Entscheidung getroffen.

„Wir drehen um.“

Ich blicke in drei fragende Gesichter, halte mich aber nicht mit weiteren Erläuterungen auf, denn vermutlich hat keiner das kleine, asphaltierte Sträßchen registriert, das auf der Anhöhe in nordwestlicher Richtung von der SS24 abzweigt.

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Ich weiß, wo das hinführt.

Auf diesem Sträßchen erreichen wir zuerst das Forte Fenil und nach 2,5 km den Weiler Monceiller, der aus zwei Häusern und einer Kirche besteht, dann hört der Asphalt auf und der Spaß beginnt.

Es ist die Strada Militare Fenil – Pramand – Föens – Jafferau.

So wirklich spaßig ist die Piste jedoch nicht, eher sehr herausfordernd, weil extrem grob, mit großen Löchern und viel Geröll. Ich führe das auf die heftigen Unwetter zurück, die wenige Wochen zuvor die Gegend heimsuchten und eine gewaltige Schlammlawine auslösten, die durch das Städtchen Bardonecchia raste und große Schäden anrichtete. Zum Glück kamen keine Personen ums Leben.

Mike hat den Braten längst gerochen, denn wir waren vor sechs Jahren schon einmal hier.

Ich schicke die drei Jungs voraus, denn ich habe ordentlich zu kämpfen, im groben Geläuf nicht auf die Fresse zu fallen und kann dann niemanden hinter mir brauchen, der drängelt.

Nachdem ich mich neun Kilometer über diese Piste durch den Wald bergauf gequält habe, treffe ich zunächst auf Nobi und Basti, die auf einem Plateau auf mich warten.

Wenige Meter südlich davon befindet sich die ehemalige Geschützstellung des Forte Pramand, das auf einer Höhe von 2143 Metern knapp 1100 Meter über dem Flusstal wacht.

Mike sei schon ein Stück vorausgefahren, erfahre ich und ich weiß, wo ich den Langen finde, denn er kennt sich zumindest bis zu diesem Punkt aus.

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Es ist das schwarze Loch des südöstlichen Portals der Galleria dei Saraceni, auch als Galleria del Seguret bekannt. Der 876 Meter lange, stockfinstere Tunnel führt in einem 120 Grad – Linksbogen durch den Berg und endet wenige Meter vor Erreichen der Reste des Forte Seguret auf 2200m Höhe.

Wir versammeln uns kurz vor dem Tunnelportal, genießen die Aussicht und die in der Spätnachmittagssonne leuchtenden, steil aufragenden Felsen des Monte Seguret.

Mike konstatiert, dass man sich den Besuch der Altweibermühle in Tripsdrill aus der - der Sage nach - alte Weiber als junge, schöne Frauen wieder herauskommen, sparen könne, er fühle sich so schon zehn Jahre jünger.

Vor dem Südostportal standen wir 2017 schon einmal, zusammen mit dem ehemaligen WASTL-Mitglied Manfred, hier war Ende Gelände.

Der Tunnel war zu diesem Zeitpunkt wegen Einsturzgefahr seit 2013 noch gesperrt, was nicht alle daran hinderte, dennoch durchzufahren, denn die vor dem Tunnel aufgeschüttete Barriere aus Felsbrocken war zumindest mit einer leichten Sportenduro überwindbar.

Wie ich von einschlägigen Mountainbike – websites weiß, haben die sich auch einen Teufel um die Sperrung geschert.

Während Mike damals noch überlegte, wie man unsere Enduros über die Barriere bekäme, (wir waren mit XT600 Ténéré, Honda Transalp und BMW F800GS unterwegs) traf Manfred die Entscheidung, denn er werde „auf gar keinen Fall“ hier weiter fahren, zumal der Aufstieg ihn schon weit über das hinaus gebracht habe, was er eigentlich bereit war, zu fahren.

Im Vergleich zu damals habe ich den Aufstieg heuer als deutlich härter und schwerer empfunden, das kann aber auch daran liegen, dass ich sechs Jahre älter geworden bin.

Wie auch immer, seit 2018 ist der Tunnel nach Sanierungsarbeiten wieder frei gegeben und Basti stürzt sich mit der 700er Yamaha als Erster ins schwarze Loch.

Der Tunnel ist in der Tat nichts für schwache Nerven oder klaustrophobisch veranlagte Menschen, er hat es auch auf die Liste von dangerousroads.org geschafft.

Neben der Dunkelheit sorgt das Wasser im Tunnel für Unbehagen, vor allem aber die Tatsache, dass man durch die Krümmung das berühmte Licht am Ende desselben erst ganz zum Schluss sieht, man fährt buchstäblich ins schwarze Nichts, die nassen Felsen schlucken auch teilweise das Licht der Scheinwerfer.

Meine billigen China-LED Scheinwerfer taugen immerhin dazu, festzustellen, dass die Tiefe des an manchen Abschnitten im Tunnel stehenden Wassers nur etwa 20 cm beträgt, was kein Problem darstellt.

Vom Tunnelende sind es noch zwei Kilometer, bis man die Militärstraße erreicht, die das Forte Föens mit dem Forte Jafferau verbindet. Seit Verlassen der SS24 sind wir erst 15 km gefahren, es kommt einem wie 50 vor. Bis zum Gipfelfort sind es jetzt noch 7,5 km und auch die sind nicht von schlechten Eltern, vor allem die letzten Serpentinen auf der mit groben Felsbrocken gepflasterten Straße rütteln einen kräftig durch.

Aber das Traumpanorama und die herrliche Abendstimmung, es ist mittlerweile 18 Uhr vorbei, entschädigen für jegliche Strapazen.

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Und genau das habe ich erahnt, als ich im Tal den Entschluss fasste, die Jungs doch noch auf den Berg zu führen. Wohl die richtige Entscheidung, denn Norbert lobt: „Du siehst hier sehr zufriedene Mitfahrer“

Hier ist außer uns keine Menschenseele, uns ist auch während der gesamten Auffahrt niemand begegnet, es ist herrlich ruhig und wir genießen auf 2803 m Höhe ein Bad in der langsam sinkenden Sonne.

Bevor die jedoch weg ist, ist es ratsam, so langsam wieder vom Berg herunterzukommen.

Der direkte Weg wäre die sogenannte „Skipiste“, von der manche immer voller Stolz erzählen und die in Bardonecchia an der Lift-Talstation endet.

Natürlich fährt keiner die Piste, sondern man meint damit den Ziehweg, einen Versorgungsweg, der sich entlang der Piste bergauf schlängelt. Der ist schon steil und rutschig genug, den sind wir 2018 runter und das war eher nicht so lustig, auch weil die Hinterradbremse meiner damaligen F650GS Dakar den Dienst verweigerte. Die Auffahrt via „Skipiste“ scheiterte 2017 auf halbem Weg an der abgebrannten Kupplung von Manfreds Honda Transalp.

Ich habe daher die Absicht, wieder um den Berg herumzufahren und die Serpentinen nach Savoulx zu nehmen. Letztere verweigert mir jedoch ein Verbotsschild, daran halten wir uns und fahren über Gleise nach Bardonecchia.

Zufrieden und hungrig finden wir dort einen Platz in der kleinen Pizzeria in der Via Germano Sommeiller in Bardonecchia, direkt neben dem Hotel Sommeiller, an dem 2015 die erste „WASTL“ begann.

Seitdem sind acht Jahre vergangen. Die Zeit rennt.

Morgen wird ein langer Tag. Ich habe eine Mammuttour im Portfolio.

 
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boro

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Phänomenal geschrieben und tolle Bilder. :Super:

Und das mit dem Schlüssel ist auch ne gute Story. Irre, was für glückliche Sachen unterwegs passieren. Sowas ist Salz in der Reisesuppe. :daumen-hoch:

Gruß
Jochen

Edit: Beim anschauen von dem schönen Video wird es mir, als bekennender Volltrottel auf unbefestigten Straßen, ab und an ganz anders. :rolleyes:
 
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elfer-schwob

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Jafferau in der Nachmittags-/Abendsonne mit 1-2-3 Mitfahrern ist auch für mich immer noch auf der Goiiil-Skala ganz weit oben!

Ich kenns auch nur so wie Ihr:
Völlig alleine. Kein Anderer unterwegs!
Der Sohn/Freund/Mitfahrer ist für eine leider nur sehr kurze Zeit das Wichtigste im Leben.
Zum Niederknien!

Klasse Story, bekannt flüssige und fesselnde Schreibe! Abgerundet mit prima Bildern - und Kaiserwetter!
Habt Ihr Euch verdient!

Bitte no a bissle meh!
 
F

fiftyeight

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Wieder ein super Bericht, und was den Schlüssel angeht, manchmal passieren Dinge, die nicht so einfach zu erklären sind.
viele Grüße, Matthias
 
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